Von Diven, Scherenhand-Edward und Meerjungfrauen
Worauf Hollywood-Stars und -Sternchen seit Jahren schwören, kann für uns nur gut sein, meint Ulrike. Also steht der vorletzte Draußensport (also bevor unser Bootcamp startet, was ja auch Draußensport ist) ganz im Zeichen von Pilates. Unsere Arbeitsgeräte: bunte Matten und Bälle, ein doch irgendwie unscheinbares Tuch mit Einschlupflöchern für die Hände, eine grüne Wiese. Und über uns der Himmel so blau.
Aber bevor wir einige der insgesamt 500 Pilates-Übungen (!) nachturnen, lernen wir erst mal, richtig zu atmen. Heißt: durch die Nase so tief einzuatmen, dass sich der Brustkorb wie ein kleiner Schirm weitet, und beim Ausatmen – bitte durch den leicht geöffneten Mund und nicht pustend und schnaufend wie ein Walross – den Bauchnabel nach innen zur Wirbelsäule zu ziehen. Das Ganze nennt sich dann „das Powerhouse aktivieren“ und ist wichtig für jede folgende Übung.
Und die haben komische Namen und es ganz schön in sich. Single Leg Circles. Single Leg Stretch. Front Side Kick. Bridging. Halleluja! Ich wüsste überhaupt nicht, was zu tun und worauf zu achten ist, wenn mir jemand diese Regieanweisungen geben würde. Dank Ulrike habe ich nun zu bestimmten Übungsabfolgen Bilder im Kopf: Bevor ich front-side-kicke, darf ich mich wie eine Diva auf einer Ottomane in Erwartung des Liebsten räkeln. Das geht schon mal. Der Rest ist schwerer: beim Einatmen das obere Bein leicht anheben und es nach vorn bis auf die Höhe der Hüfte führen, der Poppes bleibt angespannt, die andere Hüftseite hält Kontakt zum Boden, das Powerhouse ist NATÜRLICH aktiviert, die Bewegungen sind locker-leicht-fließend, die Schultern entspannt. An dem Lockeren, Leichten, Fließenden arbeite ich dann beim nächsten Mal. Später beim Single-Leg-Stretchen klappt es allerdings schon besser.
Dann die Säge: Grätschsitz, Rücken gerade, Arme auf Schulterhöhe ausgestreckt. Das Powerhouse ist – na klar – aktiviert. Zumindest, bis ich den Brustkorb um die eigene Achse nach links drehe, den Oberkörper nach unten neige und die rechte Hand zur Außenkante des linken Fußes drehe. Vorsichtig natürlich – so wie Scherenhand-Edward –, damit ich mich nicht selbst massakriere. Die Beine sollen dabei fest am Boden bleiben. Gelenkigkeit, dein Name ist auf jeden Fall nicht Doreen. Dann wieder Wirbel für Wirbel in Startposition aufrollen. Seitenwechsel. Und dabei immer schön tief einatmen und ausatmen und einatmen und ausatmen …
Schön auch die Mermaid-Übung. Nur dass wir in der typischen Sitzhaltung der kleinen Meerjungfrau nicht sehnsüchtig zu einer Hafeneinfahrt (oder zu den Jungs neben uns, die gerade Würstchen auf den Grill schmeißen – welch himmlicher Duft) gucken und dabei die Schultern traurig hängen lassen. Denn für uns gilt natürlich: Bauch und Rücken fest anspannen! Die linke Hand liegt auf dem Ball, der Ellbogen ist etwas gebeugt, der rechte Arm mit der Handfläche nach oben zur Seite gestreckt. Den Ball sollen wir so weit wie möglich zur Seite rollen und dabei den rechten Arm langsam über den Kopf führen. Kurz halten, wieder zurück in die Startposition und alles noch mal von vorn. Ulrike erinnert mich zwischendurch an die richtige Haltung und daran, dass auch die nicht beanspruchten Körperteile immer schön angespannt sein sollten. Autsch!
Geschafft! Aber nur, weil ich bei dieser Verdrehübung gestreikt habe:
„Nach zehn Stunden fühlt man es, nach 20 Stunden sieht man es, nach 30 Stunden hat man einen neuen Körper“, sagte der Pilates-Erfinder einmal. Nach nur einer Stunde zwickt es auf jeden Fall ganz leicht. Nämlich im Powerhouse. War klar, oder? Aber nicht schlimm, sondern genau so, dass ich weiß, die Stunde hat mir gut getan. Ich freue mich jedenfalls schon jetzt auf eine Wiederholung.