Füße abtrocknen, Helm aufsetzen – weiter geht’s. Wir sind ja gerade mal in Klosterneuburg. Bis München haben wir noch ein paar Stationen vor uns. Wieselburg, Attnang und Pittenhart, um genau zu sein. Jetzt geht’s auch richtig in die Berge. Nein, stimmt nicht. Nur ins Alpenvorland. Die Alpenpässe heben wir uns fürs nächste Jahr auf. Anstrengend wird’s aber trotzdem. Jetzt kommen nämlich die Königsetappen: 113 (115 hatten wir schon, die waren aber – ihr erinnert euch – platt, platt, platt), 137 und 137 Kilometer. Mit bis zu 1.500 Höhenmetern. Immer schön in Wellen, damit’s nicht langweilig wird.
Von Klosterneuburg nach Wieselburg. Neu im Wilde-13-Team: zwei 13-jährige Jungs (im Gegenzug haben wir die Highspeed-Männer an den Qatar-ICE ausgeliehen). Der eine kriegt auf der Wiese fix das Rennrad von Papa fit gemacht. Der andere hat ein tonnenschweres Mountainbike dabei. „Anja und Dori, ihr passt auf die beiden auf, ja? Macht klare Ansagen, ihr seid die Chefs. Wenn sie es bis zum Verpflegungspunkt schaffen, bin ich stolz. Wenn sie es bis zum Ziel schaffen, krieg ich mich nicht mehr ein.“ So der Papa des einen (Junge Nummer 2 war der Freund vom Sohnemann. Muss man ja wissen.). Vorher aber: eine nahezu durchzechte Nacht mit Wein und Bier und eine nahezu schlaflose Nacht im Alle-Mann-Zelt bei überwältigendem Schnarchkonzert.
Nein, an der Rum-Vernichtung war ich nicht beteiligt. Ich weiß nur, wie es den Vernichtern am Tag danach ging …
Grüner Veltliner fehlt auf dem Bild. Glaube ich. Dabei wurde er extra für mich gekauft. Und zumindest wurde die erste Flasche an dem Abend auch geöffnet. Leer wurde sie auch, weil der Rum am anderen Tisch alle war.
Mitten in der Nacht dringend auf Toilette zu müssen, war in Klosterneuburg keine gute Idee. Weit weg die guten Möglichkeiten, die nahen zu finster.
Dank Anja bekomme ich am nächsten Morgen zumindest einen Becher Kaffee. Der reicht aber nicht zum Wachwerden. Teamkollege Wolfgang geht komplett leer aus. Bei Kilometer 20: Boxenstopp. Nur für uns beide. Der Rest des Teams radelt weiter – wir würden sie ja ohnehin einholen. Einen Milchkaffee und einen Espresso später fühlen Wolfgang und ich uns in der Lage, die Aufholjagd zu starten. Erst mal ist das auch einfach: immer dem Donau-Ufer folgen. Dann geht es davon weg, irgendwelche Bundesstraßen lang – och nö! So macht eine Aufholjagd aber keinen Spaß. Huch, da ist ja ein anderes Team – Windschatten und Navi, alles in einem. Perfekt! Ruck, zuck sind wir wieder bei unserem Team. Kurz die Lage checken: Junge 1 fährt wie ein wild gewordenes Fohlen, Junge 2 kommt mit dem Mountainbike-Klopper niemals nach Wieselburg. Aber genau das ist das Ziel für diesen Tag: beide irgendwie über die 113 Kilometer bringen.
“Dori, das sieht toll aus. Willst du ein Foto machen?” Alle brettern weiter, ich nestle das Phönchen aus der Trikottasche …
Wenn wir schon den Donau-Radweg verlassen, dann aber bitte richtig …
Der Qatar-ICE – wusch, weg war er.
Letzte Rast vor den Voralpen.
Letzte Rast vor den Voralpen.
Am Verpflegungspunkt werden dann erst mal Pedale gewechselt und Sättel neu eingestellt – Wolfgang und Junge 2 tauschen Mountainbike gegen Rennrad. Junge 2 radelt ab diesem Zeitpunkt wie ein junger Gott, Wolfgang pumpt wie blöd die Berge rauf. Ach, und selbst bergab … Wir rollen, beugen uns tief über den Lenker, nehmen so viel Schwung wie möglich für den nächsten Anstieg – Wolfgang muss treten. An Kilometer 100 wartet das Papa-Mobil. Pauken und Trompeten, eine kalte Wasserdusche, stolze Worte: Die beiden Jungs haben die ersten 100 Radkilometer ihres Lebens bewältigt. Wir sind überwältigt. Die Jungs eher peinlich berührt.
Bei der Ankunft in Wieselburg bin ich fertig. Nicht wegen der Kilometer. Nicht wegen der Höhenmeter. Eher wegen der Verantwortung. Ich war Zirkus-Dompteuse. Jawollja! Meine Schreimuskeln sind jedenfalls heute noch ob des dauernden „Reeeechts!!!“-Gebrülls verknotet. Na gut, wir sind in Wieselburg angekommen. Keiner hat sich verletzt, Papa ist stolz und verkündet die frohe Botschaft direkt Nummer-2-Papa, die Jungs sind mindestens einen halben Meter gewachsen. Puh!
Von Wieselburg nach Attnang. Nach einer durchwachsenen Nacht (Schnarchkonzert in der Messehalle) komme ich tatsächlich wieder in den Genuss eines Morgenkaffees. Dafür vermisse ich meinen Helm. Und meine Handschuhe. Und meine Sonnenbrille. Das fällt mir natürlich erst kurz vor der Abfahrt auf. Die Sonnenbrille ist schnell gefunden. Im Seitenfach meiner Reisetasche, die natürlich schon im Lkw verladen ist. Helm und Handschuhe finde ich in irgendeinem Camper – mehr zufällig. Wann ich die da reingehauen habe? Ich habe nicht den leisesten Schimmer. Der erst in Bratislava reparierte Reifen fühlt sich übrigens auch schon wieder komisch an …
Irgendwie bin ich froh, dass ich meinen Helm ewig gesucht habe. Sonst wäre mir das Spektakel entgangen.
Die, die schon wach waren, hatten Spaß.
Alle anderen sind spätestens jetzt aus den Schlafsäcken gepurzelt.
Auf den folgenden 137 Kilometern wünsche ich mir übrigens Hunderte Mal, dass der Reifen aufgibt. Die Sonne brennt erbarmungslos auf uns nieder, kein Lüftchen weht, die Berge lassen sich nicht von Zauberhand verschieben. Die einzige Trinkflasche, die ich noch habe – die andere habe ich irgendwo auf der Schotterpiste vom Komárom nach Bratislava verloren –, ist nach einer knappen Stunde fast leer. Doof nur, dass gerade Feiertag ist. Da kann die Fronleichnamsprozession im Wie-auch-immer-es-heißt-Dorf nichts mehr retten. Die Tankstelle auf unserer Strecke fährt an dem Tag wahrscheinlich den Monatsumsatz ein. Unterm Oberrohr eine Flasche Wasser, hinterm Sattel zwei Gatorade-Flaschen, im Rucksack eine Cola – ja, kann weitergehen.
Erstes Wow-Erlebnis: Steyr. Wie kann eine kleine Stadt nur so schön und bezaubernd sein? Kein Wunder, dass das Christkindl scheinbar um die Ecke wohnt. Zweites Wow-Erlebnis: die qualmenden Füße in den eiskalten Bach halten. Enns oder Steyr? Egal! Ein Doof-Erlebnis: die Füße aus dem kalten Wasser ziehen und wieder mit den ollen Radschuhen verpacken. Aber es muss ja weitergehen.
Und das geht es auch. Hoch, runter, hoch, runter, hoch, runter. Mittlerweile sind die Polster meines Helms wie kleine Schwämme vollgesogen. Ich merke, wie der Schweiß irgendwie von meinen Wimpern auf meine Nase und von dort aufs Rad tropft. Blöde Sonne, blöde Berge. Schimpf, schimpf, schimpf. Zumindest in Gedanken. Für mehr habe ich echt keine Kraft.
Dann irgendwann Attnang. Und von dort aus wieder 137 Kilometer über Salzburg nach Pittenhart. Mit noch mehr Höhenmetern. In den frühen Morgenstunden prasselt Regen auf das Dach „unserer“ Tennishalle. Offensichtlich fühlt sich der Regen richtig wohl, denn er prasselt auch in den nächsten Stunden munter weiter. Plan B: Viele fahren mit dem Zug nach Salzburg und sparen sich so die ersten 70 Kilometer. Denn Bergauffahrten bei Regen mögen ja irgendwie noch gehen, die Abfahrten dürften saugefährlich werden.
Kurz hinter Salzburg steige ich mit meinen beiden 13-jährigen „Welpen“ in den Track ein. Einen Kilometer später fällt das GPS-Gerät runter und sagt: „Nö, ich mag nicht mehr.“ Ein paar Hundert Meter vor uns sichten wir eine größere Radtruppe. „Die holen wir uns, das sind GBIler“, sind quasi meine letzten Worte, bevor sich die Welpen mit spritzenden Reifen in Gang setzen und ich nur noch rufen kann: „Ich komme nach. Sagt bitte Bescheid!“ Glücklicherweise ist es ein Ägypten-Team und glücklicherweise mögen die Ägypter Fotos und halten nahezu an jedem Punkt an, der nur halbwegs nach toller Landschaft aussieht. Am Chiemsee dürfte es von mir Fotos geben, von denen ich noch keine Ahnung habe. Mit Brücke. Ohne Brücke. Über Wasser. An Wasser. Einzeln. Mit allen.
Pittenhart also. Nie gehört, nie gesehen. Und trotzdem hätte es für mich kein unbekannter Fleck auf der Landkarte sein dürfen. Stellt euch also folgendes Szenario vor: Wir kommen in besagtem Dörfchen an. Dass da eine spezielle Wohlfühllounge mit Whirlpools und allem Zipp und Zapp für uns aufgebaut ist, war mehr oder weniger bekannt. Von Cocktails und riesengroßem Lagerfeuer war aber vorher nie die Rede … Komisch. Ach, wir teilen uns den Platz mit dem ganzen Dorf? Mitsommerfeier? Das muss jemandem ohne Raum- und Zeitgefühl doch mal gesagt werden! Ja, und dann erfahre ich quasi nebenbei, dass Joseph und Narumol direkt auf diesem Platz ihre Hochzeit gefeiert haben.
Für Ahnungslose: Das ist das Kultpaar aus „Bauer sucht Frau“. Einmal an der „falschen“ Stelle gesagt, dass die beiden mehr oder weniger Auslöser für Mädelsabende waren, schon sitze ich quasi beim Pittenharter Bürgermeister auf dem Schoß und fachsimple über besagtes Paar, das TV-Format und Fernsehen im Allgemeinen. Pittenhart ist nun jedenfalls kein leerer Landkartenfleck mehr und bleibt mir vor allem wegen der unfassbar hilfsbereiten (ohne sie hätten wir weder Unterkunft noch Grillgut gehabt – ein Hoch auf den Metzger des Ortes) und superlustigen Pittenharter in Erinnerung, die mit uns bis in den frühen Morgen das Lagerfeuer bewacht haben und scheinbar nie ins Bett gegangen sind. Denn als wir nach einem Mützchen Schlaf komplett verbeult aus den Schlafsäcken kriechen, haben sie die Tiere in den Ställen schon längst versorgt.